Von Selbstfürsorge

Die schwarze Katze ist beim Tierarzt zum Kastrieren. Ich hab sie abgegeben und jetzt ist Zeit. Zeit, die ich ausnahmsweise nicht verplant habe. Irgendwie ist mir in letzter Zeit genau diese Zeit abhanden gekommen. Mir kommt es vor, als wäre jede Sekunde durchgetaktet. Nichts ist dem Zufall überlassen und jeder Handlung folgt, ganz geplant, eine nächste. Jetzt das, dann das, dann das. Immer noch eine Aufgabe, noch etwas zu tun und mehr Arbeit.

Ich seufze und sehne mich nach Entspannung, nach Raum. Nach kreativer Muse. Oh ja, das wäre schön! Und wann habe ich mir das letzte Mal eigentlich etwas Gutes getan?

Sich etwas Gutes tun, reicht das schon?

Etwas wirklich Gutes, meine ich. Wann habe ich mir das letzte Mal etwas wirklich Gutes getan? Nicht einen Kaffee gekocht, ein Bad genommen, eine Tafel Schokolade vor dem Fernseher vertilgt oder äußerst gesund gekocht. Von alledem erfüllt sich täglich tatsächlich nur der Kaffe. Die anderen vermeintlichen Fürsorglichkeiten bleiben so oder so außen vor. Mal ganz abgesehen davon, dass sie tatsächlich nicht sonderlich fürsorglich sind (Schokolade) oder ich sie nicht beherrsche (kochen).

Im Auto warte ich einen Moment, lege Musik ein und fahre in Richtung Dorf. Dort gibt es einen Drogeriemarkt und ich brauche dringend Staubsaugerbeutel. 

Drogerie und der Konsum

Die bunten Verpackungen, die gut sortierten Regale, der Duft, all das lädt mich ein. Es ist Balsam für meine ausgehungerte Seele. Glaube ich. Ich lasse mich verführen, stöbere ein bisschen, werde wie automatisiert durch die Regale geleitet und ehe ich mich versehe ist mein Arm voller Dinge. Eine Nachtcreme, ein Massageöl, ein Liebesroman, eine Zahnbürste und Haarklammern. Das sieht doch sehr fürsorglich aus, denke ich und freue mich über die Auswahl. Es stimmt meinen Körper milde, bringt Ruhe hinein, wo vorher Aufruhr war. 

Ein anderer Teil in mir schüttelt ungläubig den Kopf und fragt sich, wieso ich lauter Dinge kaufe, die ich nicht brauche. Ich hole noch die Staubsaugerbeutel und einen Reiniger fürs Bad, damit auch er zufrieden ist. Ich muss lachen. Über die Performance meiner inneren Anteile, über die Auswahl und über die Situation selbst. Ist denn wirklich Einkaufen in einem Drogeriemarkt die Lösung für fehlende Selbstfürsorge? Ich meine, im Ernst? Konsum? Die Aussicht auf ein Bad mit anschließender Massage und Creme im Gesicht mildert die innere Leere? Ich schüttele den Kopf, steige, den Arm voller Dinge, ins Auto und fahre zurück nach Hause. 

Musik

The Prodigy wummert mir seinen Beat ins Hirn. Ich liebe Musik. Musik selbst ist Selbstfürsorge. Leider ist The Prodigy nicht die allerbeste Auswahl für den Moment, zumal ich, an den Autositz gefesselt, nicht optimal tanzbereit bin. Tanzbereitschaft ist allerdings bei dieser Art Musik absolut notwendig. So kann der Beat nur bis zum Herz durchdringen, nicht aber bis in die Eingeweide um von dort das gesamte System in Wallung zu bringen. Das wäre Selbstfürsorge. Ein paar Songs aus dem richtigen Genre schaffen es mein System in kurzer Zeit komplett auf Null zu setzen, so dass ich frisch starten kann. Das ist wie duschen von innen. Total fürsorglich.

Aber jetzt mal Tacheles. Butter bei die Fische.

Oder wie auch immer das heißt. Was ist denn nun wirklich Selbstfürsorge? Wo fängt das an? Ein Bad nehmen ist ja wunderhübsch, auch mal voll chillig und entspannend. Aber trägt es wirklich im Großen und Ganzen dazu bei, dass man sich besser fühlt? Dass man erfüllter ist? Dass man zufrieden mit seinem Leben wird? So über die lange Strecke, meine ich. Und ich will baden nicht schlecht reden, ich liebe meine Badewanne! Und ich liebe den Drogeriemarkt meines Vertrauens! Ehrlich! Ich liebe bunte Verpackungen, Düfte und ja, ich gebe zu, ab und zu liebe ich Konsum. Aber macht es mich wirklich glücklicher? 

Nein. 

Schlicht und ergreifend, nein! Punkt. Und ja, ich muss da ein bisschen emotionaler werden, muss mich echauffieren, muss mich aufregen, wie alle immer so schön sagen. Ich liebe es, mich aufzuregen. Ich liebe es diesem emotionalen Flow Raum zu geben und das heraus zu lassen. Denn wenn ich es in mir behalte, vergifte ich. Und möglicherweise sind wir da genau am Punkt angelangt.

Was man alles in sich behält, um zu gefallen.

Was ich alles in mir behalte, um den Menschen um mich herum zu gefallen! Das ist eine Sache, die sich tatsächlich durch mein Leben zieht, wie ein roter Faden. Ich tue Dinge genau aus diesem Grund. Ich halte Dinge zurück, halte Reaktionen oder Aktionen in mir, aus diesem Grund. Ich tue nicht, was mir gefällt, was sich für mich richtig anfühlt aus diesem Grund. Ich tue Dinge auf eine bestimmte Art und Weise und eben nicht so, wie ich sie gerne tun würde – aus diesem Grund. Weil etwas in mir Schiss hat, dann nicht zu gefallen. 

Zum Beispiel habe ich vor ein paar Jahren aufgehört von mir zu erzählen, habe aufgehört meine geliebten Blogartikel zu schreiben. Bin verstummt. Bin zurück getreten, mindestens fünf Schritte. Das nur, weil jemand gesagt hat, so ein Blog bräuchte doch richtig Content und den müsste man erstmal liefern! Oh, dachte ich, na da hat er Recht, was ich schreibe, kann gar nicht richtig sein, weil es ja aus mir kommt. Und Zack, war ich raus. Habe das Schreiben in dieser Art aus mir heraus geschnitten, obwohl ich es so sehr geliebt habe. Autsch!

Das ist alles andere als Selbstfürsorge. 

Ich denke ein großer Teil oder vielleicht sogar DER Teil schlechthin von Selbstfürsorge ist es sich ganz leben zu können. Für sich selbst da zu sein. Sich treu zu sein. Bei sich anzukommen, mit sich im Reinen zu sein, aus diesem Raum zu handeln. Vielleicht ist es nicht unbedingt so etwas wie Selbstliebe. Eher ein Annehmen. Ein okay, das bin ich und ich bin echt viel, vielschichtig und ganz ausgezeichnet verworren, verstrickt und verwurstelt. Vielleicht ist Selbstfürsorge zu sagen, ich freue mich auf die Reise meiner eigenen Entdeckung. Ja, ich denke in diese Richtung könnte es gehen. 

Großes Drama

Große Worte, große Emotionen, wilde Ausbrüche und klare Ansagen räumen den Weg frei zu dir selbst. Na ja, das ist vielleicht genauso wahr, wie die Sache, dass Konsum glücklich macht. Vielleicht hilft es für den Moment. Es hilft dich zu Kalibrieren, zu sehen, wo du stehst oder den Nebel mit dem inneren Feuer wegzubrennen. Yes! Es hilft zu entladen, zu sortieren und dich leer zu machen. Und dennoch bleibt bei all dem Drama eine Sache übrig. Unten drunter. Innen drin. Durch dich hindurch. Ganz still und ruhig. Ganz ohne diese Person, die du zu sein scheinst.

Weisheit ist der Schlüssel

Etwas, das immer Bescheid weiß. Etwas, das immer wieder dort hin möchte, wo die eigene Reise eben hingeht. Zu dir selbst in deinen Kern, auf deine Spur. Etwas bleibt übrig, nach dem inneren Wirrwarr, dem äußeren Krieg, dem Wutausbruch, der soeben verqualmt ist. Etwas weiß es besser und sehr genau, auch ohne Tränen und doch sind sie ab und an nötig, weil sie das Fließen zurück bringen. Etwas führt, wie ein innerer Kompass. Es ist wie ein Wissen. Die innere Weisheit weiß den Weg. Zu jeder Zeit. Und sie wird dich immer, immer, immer genau dorthin führen, wo du in Wahrheit hin möchtest. 

Zu dir und auf deinen Weg. 

Selbstfürsorge ist also im ersten Schritt zuhören. Dieser inneren Weisheit lauschen, so oft es geht. Höre hinein. Sei wachsam. Und versuche sie nicht zu übergehen, nur um des Gefallens Willen. Weil irgendjemand da draußen etwas an dir findet, was er nicht mag. Und wenn du hörst, wo es lang geht, kannst du beginnen dem zu folgen. Erst ganz vorsichtig vielleicht, dann immer mutiger. Dich ausrichten, in dir selbst. Dort entlang gehen. Ein Fuß vor den anderen. Bleibe bei dir, in deinem Raum, in deinem Puls.

Dein ureigener Rhythmus lässt dich tanzen. Sei also zu jeder Zeit tanzbereit 🙂

Ich fang schon mal an.

*

Alles Liebe *  Verena


ICH GEH TANZEN – Rapunzels neue Geschichte – ein kleines Büchlein über die Suche des Eigenen im Außen. Eine Reise aus dem inneren Gefängnis hin zu sich selbst.