Mir fehlt das Leben und ich weiß nicht, wo es hingehen soll. Ich habe das Gefühl früher hatte ich viel mehr Lebenslust. Kennst du das? Ich weiß nicht, ob es an der Jahreszeit liegt oder vielleicht an den Wechseljahren, die zwar noch nicht in vollem Gange sind, sich aber unweigerlich ankündigen. Jeden Tag ein bisschen mehr. Jeder Eisprung ist irgendwie heftiger als der vorherige und jede Blutung wilder als die davor. Irgendwann werde ich wohl explodieren. Eines Tages werde ich aufwachen und meinen Einzelteilen dabei zusehen, wie sie durch den Raum fliegen.
Manchmal fühlt es sich schon jetzt so an, als würden meine Einzelteile in der Luft herum tanzen, die Schwerkraft verlieren und wirklich abschweben. Als hätten sie keinen Halt. So hab auch ich keinen Halt mehr. Nichts, was mich hier hält. Einzig der Akt der Schöpfung selbst, das Kreieren, gibt mir den nötigen Halt, den nötigen Lebenssinn um noch eine Minute länger hier zu verweilen. Ansonsten hat das Leben ziemlich viel Sinn eingebüßt. Oder ich habe den Blick dafür verloren?
Wenn ich es mir recht überlege, dem nachspüre, ist Kreieren oder Schöpfen, etwas erschaffen, ja ein ziemlich schöner Sinn. Nicht wahr? Ja. Wahr. Hält mich halt hauptsächlich für die Phasen des Erschaffens selbst lebendig. Danach oder davor flacht die Lebenslust tatsächlich recht schnell wieder ab. Also versuche ich mich wohl in einem Tätigkeitstaumel zu halten um möglichst viel des Sinns zu fühlen und weniger down zu sein.
Puh.
Eines Tages werde ich nicht mehr aufwachen.
Jedenfalls nicht in diesem Körper. Nicht in dieser Form. Eines Tages werde ich diese Welt verlassen haben. Und ich bin gespannt, wie sich das anfühlen wird. Ob man das überhaupt fühlt? Ob man dann noch weiß, wie fühlen geht? Ob es dann überhaupt noch ein ‚man‘ in diesem Sinne gibt? Also etwas, das spürt, dass es existiert? Oder eben nicht mehr existiert. Ich kann mir das alles ganz schwer vorstellen.
Meine Sehnsucht es zu wissen, ist allerdings riesig. Nicht weil ich sterben will. Vielmehr weil ich die Kontrolle behalten will. Weil ich wissen will, wie es ist. Damit ich weiß, was auf mich zukommt. Damit ich nicht so unbedarft bin. Damit ich weiß, was es wird. Die Kontrolle behalten. Ja, das wäre wichtig.
Alles Forschen, alles Kreieren meines Seins, ist darauf ausgelegt diesen unbekannten Raum zu durchwandern um ihn möglichst genau zu erfühlen. Die ganze Suche bezieht sich darauf die Kontrolle behalten zu wollen. Oder eben zu erforschen, wie es ist, sie abzugeben. Üben, die Kontrolle abzugeben. Sterben üben. Kreieren ist sterben üben?
Warum sterben üben? Warum sollte kreieren sein, wie sterben üben? Man erschafft doch etwas, zerstört nichts?
Möglicherweise ist sterben ja nicht zerstören. Möglicherweise ist sterben ein Erschaffen in eine andere Welt hinein, in eine andere Existenz hinein. Geboren werden in eine andere Form. Auch das ist irgendwie schwer vorstellbar, wenn man so sehr am Körper hängt. Der ist schon echt cool, der Körper. Kann so viel lustige Dinge tun. Was tun wir denn nur danach? Ohne Körper? Keine Hände mehr, keine Beine mehr, kein Herz mehr, kein Bauch der Emotionen bewegt. Es wird mir fehlen. Wenn ich dann noch so etwas wie ‚fehlen‘ fühlen kann.
Wir gehen also mal davon aus, dass sterben nur eine Formenwandlung in eine andere Welt hinein ist. Warum sollte aber Kreieren denn dann noch, außerdem, sterben üben sein?
Beim Kreieren entsteht ganz oft ein Flow Zustand. Ein Zustand, in dem die Dinge einfach geschehen. In dem unser Körper tatsächlich nur Mittel zum Zweck oder eben Umsetzungsinstrument ist. Die Gedanken schalten sich aus und es fließt einfach nur durch. Da ist niemand mehr, kein Brain, das das Geschehende steuert. Die Kontrolle fällt komplett weg. Alles fällt ab und nur die Schöpfung arbeitet durch uns. Ein wunderschöner, absolut befriedender Zustand.
Sterben stelle ich mir ein bisschen so ähnlich vor. Zuerst müde, dann Trance, dann völlige Ich-losigkeit, dann Flow, ganz loslassen, dann Frieden.
Aber witzig, den Frieden stelle ich mir immer noch gefühlt vor. Eigentlich denke ich, den wird man nicht fühlen können. Oder doch?
Es bleibt ein Rätsel. Ein ewiges Rätsel. Solange ich es nicht lösen kann, weil ich weiterhin auf dieser Welt in meinem Körper existiere, werde ich wohl weiter kreieren um das Mysterium des Lebens und des Sterbens zu erforschen. In all seinen vielen Facetten. Auf welche Weise auch immer.