Live life to its fullest. Diesen Satz hab ich heute schon ziemlich früh am Tage vernommen. Über meine Augen. Also gelesen irgendwo. Vermutlich auf Facebook. Wo sonst. Er hat mich den ganzen Tag verfolgt und ich habe mir so überlegt: Was wird das wohl sein? Life’s fullest? Also für mich ganz persönlich? Und für den, der es sagte? Oder schrieb.
Mich verfolgte den ganzen Tag ein bestimmtes Gefühl dazu. Ein bestimmtes, aber nicht greifbares oder wortbares Gefühl. Eine Mischung aus Verzweiflung und Niedergeschlagenheit. Aus Gedrückt sein und Geschoben werden. Aus Bewegung und Stillstand. Zerrissenheit wahrscheinlich. Wenn man es denn beschreiben kann. Und will.
(Eigentlich wollte ich es ja nicht. Jetzt hab ich es doch. So geht das die ganze Zeit. Ich stecke echt gerade ein bisschen fest.)
Jedenfalls schon wieder so ein Gefühl, bei dem ich mich gedrängt fühle irgendetwas tun oder sein zu müssen um das vorgegebene Ziel zu erreichen. (Das habe ich echt satt.) Das vorgegebene Ziel heißt also jetzt, wie oben bereits erwähnt: living life to its fullest.
Zwei Tage war ich jetzt an die Couch gefesselt. Unmöglich mich zu bewegen. Von Schmerzen niedergerissen. Mein Körper tat weh und mein Kopf. Einfach so. Und so richtig. 48 Stunden lang. Jetzt ist es weg. Es war wie eine Reise zum Mond und wieder zurück. Ich habe es total genossen und gleichzeitig habe ich es gehasst. Aber viele Dinge entdeckt, Erkenntnisse gewonnen, auch und natürlich auch solche die mir noch nicht ganz klar sind. Gekrönt von einem echt schrägen Traum in der vergangenen Nacht. Aber den beschreibe ich vielleicht wann anders.
Wie auch immer …
Eigentlich bereue ich nichts. Das dachte ich immer, nein, um genau zu sein, ich war mir dessen sicher, ich habe sogar damit geprahlt! — Bis ich meine Kinder traf. Oder sie mich. Das trifft es besser.
Und jetzt, jetzt ist alles ganz anders. Und ich will ehrlich sein, vor allem mit mir. Mir wird vieles bewusst. Vieles, das ich vor allem nicht wahrhaben wollte. Es steht direkt vor mir, es schreit mich nahezu an. Ich muss hinsehen, es führt kein Weg daran vorbei.
Zum Beispiel bereue ich
– dass ich vergessen habe, wie es ist im Badewasser auf Tauchkurs zu gehen, mit Brille und Schnorchel und allem. Die Korallenriffs der bunten Emaillelandschaft zu erkunden und Schätze aus den Tiefen der schaumgekrönten See zu bergen.
– dass ich es versäumt habe wirklich Mädchen zu sein. So richtig mit Rosa und Tanzen und Rhythmischer Sportgymnastik mit bunten Bändern im Haar und fliegenden Bändern um mich herum. Mit Kleidern und Schmuck und pinklilafarbenen Schühchen mit Glitzer und Glöckchen dran. Ich fand es immer besser und cooler und sicherer das alles doof zu finden.
– das erste Mal als ich mit meinen Kindern schimpfte, denn wenn der Bann einmal gebrochen ist, ist es wirklich schwer bis unmöglich wieder zurück zu rudern.
– dass ich selbst als Kind nie wirklich laut war, das kompensiere ich alles jetzt …
– dass ich all die Dinge, die ich eigentlich hätte sagen wollen nicht gesagt habe (etwa: hey, ich mag dich total, du öffnest mein Herz usw. oder hey, du … , rutsch mir doch den Buckel runter oder noch etwas weniger gesellschaftskonform) und all die Dinge, die ich eigentlich hätte tun wollen nicht getan habe, wie … denkt euch was aus …
– die Zeit, in der ich mir zu viele Gedanken gemacht habe und statt dessen nicht einfach GEMACHT habe.
– die Zeit in der ich versucht habe spirituell zu sein und dabei verpasst habe, dass ich es eigentlich ja bin. Denn Spiritualität IST. Das kann man nicht tun. Oder versuchen zu sein. Und schon gar nicht kann man versuchen irgendwem zu gefallen.
– dass ich aufgehört habe zu reiten. Denn das fehlt mir wirklich. Es reißt mir fast das Herz heraus, mein selbst auferlegtes Gefängnis. Und mittlerweile habe ich mich selbst so voller Angst gejunkt, was das Thema betrifft, dass ich wahrscheinlich einen Entzug oder tatsächlich einen Therapeuten benötige, um das „zu heilen“. (bitte keine Vorschläge an dieser Stelle, das ist ein sehr sensibles und heikles Thema 😉 )
– dass ich mir immer erzählt habe ich bereue nichts, aus dem einfachen Grund: bereuen ist uncool! Und fühlt sich auch nicht weniger uncool an.
– zu guter Letzt: das Bereuen selbst.
Das war mal eine kleine Liste mit der ich angefangen habe, von den wichtigsten Dingen, die mir so eingefallen sind. Ich tue das jetzt einfach mal. Was? Na das bereuen. Ich bereue. Und ärgere mich und versinke darin und trauere. Einfach so. Weil … ja genau!!! Weil das auch Leben ist. Weil das, das für mich ist was „live life to its fullest“ meint.
Das Mensch sein und das Leben eben ganz zu leben. Auch und eben gerade mit den augenscheinlich schlechten Seiten, mit dem Bereuen, mit der Trauer, mit dem Schmerz. Und aber und ganz klar auch mit der Freude. Und dem Prozess, der scheinbar daziwischen liegt. Wie es einem eben vorkommt …
Es gibt nur diesmal einen kleinen Unterschied zu anderen Entscheidungen: Diesmal möchte ich niemandem gefallen. Diesmal ist es einfach da. Ich fühle das, das Bereuen, die Trauer, den Schmerz. Ich kann ja eh nicht aus. Es ist ja da. Und ich fühle es. Ich muss mir gar nichts vormachen. ES macht es mir schon vor. 🙂