Von Taylor und dem Versuch nach Liebe

Ich betrete mein Atelier. Es riecht nach neuem Teppich, noch immer. Obwohl er nun schon ein paar Monate liegt. Vielleicht zwei? Ich kann mich nicht erinnern. Jedes Zeitgefühl fließt aus meinem Körper, mehr und mehr. Die Zeit verschwimmt und das Gefühl mit ihr. Ich habe das Gefühl schon ewig hier zu sein. Und auch nicht. Der Geruch des neuen Teppichbodens mischt sich mit dem Geruch von Dachboden und alten Holzbalken. Jener Geruch, leicht modrig und irgendwie verfallend, war der Treiber für eine Renovierung des Zimmers aus dem jetzt das Atelier geworden ist.

Hier ist Platz für Liebe.

Ich bin stolz auf mein Atelier. Stolz darauf, dass es so heißt und darauf, dass ich eins habe. Es hat so viel Platz. Es bietet Platz für alle meine Bereiche, alle meine Seiten, all die Dinge, in denen ich mich finden und voller Liebe ausdrücken kann. Platz für die Staffelei und all die Leinwände und für Regale um Arbeitsmaterial unterzubringen, Platz für den Arbeitstisch, den Zeichentisch, den Laptop und die Musikinstrumente und das kleine Aufnahmeset. Ich halte kurz inne und lasse alles noch einmal auf mich wirken. Schließe die Augen und spüre die Energie der einzelnen Ecken und des Gesamten.

Worauf hast du Lust?

Durch das geöffnete Fenster dringen Stimmen an mein Ohr. Stimmen von den umliegenden Nachbarn. Die Akustik hier oben ist ganz anders als im Rest des Hauses. Ich nehme Klänge wahr, die ich sonst nicht kenne. Das ist an manchen Tagen sehr ungewohnt, an anderen wunderbar. Ich öffne meine Augen, sehe mich um und spüre nach, was mich heute will. Das Schöne am Atelier ist, dass alles da ist, ich alles machen kann. Ich kann einfach wählen, worauf ich Lust habe. Oder was auf mich Lust hat. Und wie ich das so denke und fühle, sich ein Lächeln auf meinen Lippen breit macht, klettert gleichzeitig ein unangenehmes Gefühl meinen Rücken empor.

Ein Versuch der Verdrängung.

Doch bevor es meine Zellen erreicht werfe ich mich in irgendeine Tätigkeit. Ich beginne zu malen. Und weil das nicht hilft, das Gefühl zu unterdrücken, wechsle ich an die Gitarre. Ich singe zwei, drei Strophen, spiele ein paar Akkorde und merke sehr schnell, dass ich hier nicht weiterkomme. Weder für den Moment des Songs noch mit der Verdrängung des Gefühls. Ich lege die Gitarre weg, bin frustriert. Vielleicht hilft schreiben? Ich wechsle an den Schreibtisch, klappe den Laptop auf und noch bevor ich mein Passwort eingeben kann, hat mich das Gefühl überwältigt. Hinterrücks. Na gut, nicht ganz, es hat sich ja angekündigt.

Ich bin nicht gut genug.

Ich bin nicht sicher, ob es sich dabei wirklich um ein Gefühl handelt. Eher ein Satz, den ich über mich glaube. Das Nomen dazu wäre Unzulänglichkeit. Das Gefühl, welches diese begleitet vielleicht Trauer oder Frust. Resignation. Irgendwas in diese Richtung. In meinem Geist hämmert die Frage, ob es sich überhaupt lohnt irgendetwas zu tun. Irgendetwas zu erschaffen. Wozu? Wenn ich oder meine Arbeit doch zu nix taugen? Ich spüre wie ich immer tiefer in diesen Gedankenstrudel hinein falle. Wie ein Sog. Dunkel wird es um mich, meine Glieder lahm, mein Körper schwer, mein Atem flach. Ich bin müde und möchte nur noch schlafen.

Man muss schon etwas mehr Content liefern, als nur aus dem Leben zu erzählen.

„Tagebucheinträge einer 15-jährigen interessieren niemanden“, hallt es in meinem Kopf nach. Das hab ich letztens über Taylor Swift gelesen. Einen ganz ähnlichen Satz bekam ich entgegen geschleudert, als ich einen Berater fragte, ob meine Mails für ein Abo taugen. Man müsste schon etwas mehr Content liefern, als nur aus dem Leben zu erzählen, war sein Rat. Und mein Ende. Ich glaube erstmal alles. Immer. Leider. Es dauert, bis ich das gefiltert kriege. Diese Beratung ist jetzt fünf Jahre her. Seit dem zweifle ich an meinen Texten und schreibe gefühlt kaum noch. Die Dunkelheit ist präsent. In meinem Kopf nur Nebel.

Bleibt die Dunkelheit für immer?

Ich sitze vor dem Laptop, nehme kaum mehr etwas wahr. Die Stimmen vor dem Fenster sind weg und das Singen der Vögel scheint eingefroren. Der Wind steht still. Von unten ruft jemand meinen Namen, aber ich habe keine Lust zu antworten. Zum Frust mischt sich Selbstmitleid und ich bin mir jetzt sicher, ich tauge nicht. Zu gar nichts. Ich klappe den Laptop zu. Ich habe Angst und gar keine Lust, in dieser Dunkelheit hängen zu bleiben. Ich atme ein und wieder aus. Dann klappe ich den Laptop wieder auf und beginne einen neuen Text. Diesen hier. Ich habe keine Lust mehr, mir von Mauern in meinem Kopf meine Tätigkeiten verbieten zu lassen.

Liebe ist manchmal leise.

Manchmal sind die großen Errungenschaften ganz klein und scheinbar unbedeutend. Manchmal ist es einfach nur ein Ja, ich tue es trotzdem. Ich mache es, obwohl mir Menschen oder Gedanken oder Barrieren das Gegenteil erzählt haben. Ich mache es trotzdem. Und zwar das, worauf ich am meisten Lust habe. Das was ich am liebsten tue. Und das kann ganz leise und sanft sein. Es muss keinen großen Knall oder Lärm veranstalten. Auch nicht die Erkenntnis. Laptop zu, Laptop wieder auf. Und ein Ja zu dem, was getan werden möchte. Ganz leise und ohne viel tammtamm.

Von innen heraus berührt man die Menschen.

Zum Glück beweist Taylor Swift, dass es anders geht. Nämlich, dass Tagebucheinträge einer 15-jährigen durchaus interessieren und zwar unfassbar viele Menschen. Weil es sie berührt. Weil sich ganz viele Menschen darin finden können, sich reflektieren und sich verstanden fühlen. Zum Glück hat sie es einfach gemacht und ist damit ein Vorbild für so viele. Danke Taylor. Danke für dein Vorausgehen. Danke, dass wir in deiner Spur laufen dürfen. Auch wenn wir leiser sind und nicht so bunt und nicht so laut. Aber wir sind da. Ich geh ein Stück mit und tue, was ich liebe. Schreiben. Und malen. Und zeichnen. Und Musik machen.

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Liebe

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