Von Beziehungen

Beziehung. Paarbeziehung. Ein Geben und ein Nehmen. So sagt man, nicht wahr? Der eine gibt, der andere nimmt. Und dann umgekehrt. Immer im Ausgleich. Immer möglichst genau gleich. Der eine nimmt so viel, wie der andere und der wiederum gibt den selben Wert zurück. Okay. So weit so gut. Hört sich ja alles ganz nett an.

Wenn ich mir das aber so durchdenke und die Worte auf meiner Zunge zergehen lasse habe ich eher das Gefühl, ich lese einen Arbeitsvertrag. Ein Abkommen. Es liest und spürt sich an, wie die Ausarbeitung eines Schriftstückes für ein Geschäft. Man geht einen Deal ein um sich in der Beziehung zu finden. Das kann doch nicht der Sinn des ganzen sein?

Eine Beziehung kann nicht darauf basieren, dass der Wert oder die Leistung des anderen gemessen wird. Dass sie bewertet und im letzten Zuge dann verglichen wird mit der eigenen Leistung und Hineingabe dessen, was man selbst bereit ist zu geben. Ist das wirklich das worum es geht? Ist das wirklich das, worüber wir eine gute Beziehung definieren? Geben und Nehmen im Ausgleich?

Vielleicht kommt eine Ehe dann tatsächlich einer Institution oder einer Firma gleich. Beide Parteien haben gleich viel erwirtschaftet. Beide Parteien haben genauso viel zum Gelingen des Geschäftsjahres beigetragen. Eine Partei in Geldwert, die andere in Kinderbetreuung oder Liebesdiensten. Mindestens hat eine Partei aber die Hemden oft genug gewaschen, das Haus sauber genug gehalten, so dass es dem Geldwert gleich kommt. Ist es das, was wir geformt haben in den vergangenen Jahrzehnten?

Das macht mich wirklich traurig. Und jetzt sagst du vielleicht: Das ist deine Sicht der Dinge, so sehe ich das nicht. Dann frage ich dich: Was siehst du? Die meisten Paarbeziehungen, die ich kenne, die vielleicht klassisch mit Kind beschenkt wurden haben eben genau diese Verteilung. Sie sind unterbewusst darauf programmiert, dass eine Ehe ein Deal ist. Dass die Basis der Ehe, die Paarbeziehung, ein Deal ist.

Da sind Gedanken drin, wie: Wenn ich Zeit für mich beanspruche, dann muss ich auch Zeit für dich berappen. Zeit, in der ich mich um dich kümmere, denn es geht nicht, dass ich mir mehr Aufmerksamkeit gebe als dir. Wenn ich mir etwas kaufe, darfst du dir auch etwas kaufen, denn es geht nicht dass ich mir etwas gönne, einfach so, ohne dass du etwas davon hast. Wenn ich heute etwas koche, was mir schmeckt, dann muss es morgen etwas geben, was dir schmeckt. Und so weiter.

Verstehst du, was ich meine? Und ja, natürlich wirst du behaupten, dass das bei dir nicht so ist. Völlig klar, weil du ja ganz anders bist als alle anderen. Das hatte ich von mir auch gehofft. Dann war ich ehrlich zu mir. Nein. Auch bei mir finde ich diese Gedanken. Wie sollte ich sie sonst entdeckt haben? Wenn du mich ein bisschen kennst, dann weißt du, dass ich viel reflektiere. Ist quasi mein Hobby. Könnte ich den ganzen Tag tun. Dabei komme ich mir ganz oft auf die Schliche.

Und das Schöne am Reflektieren ist ja genau das. Man kommt sich auf die Schliche. Und wenn man es dann auch noch wagt echt ehrlich mit sich selbst zu sein und sich alle Teile, die in einem sind einzugestehen, dann kann man richtig was reißen. Was? Nun, Erkenntnis und Eingeständnis führt automatisch zu Veränderung. Es ist dir nicht mehr möglich die unbewussten Dinge weiterhin unbewusst zu tun. Sie wurden erleuchtet. Sie sind entdeckt. Und somit sichtbar in deinem Bewusstsein.

Vielleicht wirst du aber auch sagen: Das ist ja nur gerecht, dass jeder mal zum Zuge kommt, dass der eine sich um den anderen kümmert, dass jeder gleich viel gesehen wird. Und ich muss mich fast übergeben. Weil das so nicht existiert. Niemals wird der eine genauso viel gesehen wie der andere. Einfach weil niemand genau so ist, wie ein anderer. Niemals gibt es Gerechtigkeit, und schon gar nicht zwischen Menschen. Weil jeder anders ist. Andere Geschichte, andere Erwartung, anderer Kern, anders eben. Jeder. Einzelne. Von. Uns. Jeder hat seine eigene Dynamik.

Was ist jetzt aber mit den Beziehungen? Habe ich eine Lösung? Lebe ich die perfekte Beziehung? Weiß ich, wie das Non plus Ultra der optimalen Paarbeziehung aussieht? Nein. Das weiß ich nicht. Und ich lebe es auch noch nicht. Weil ich noch nicht genau weiß, wie das was ich gerne leben würde aussehen könnte oder ginge. Was ich aber weiß ist, dass mich die Idee, dass eine Beziehung ein Deal ist, ein Geben und ein Nehmen im absoluten Ausgleich, echt traurig macht. Dass ich das nicht leben will.

Vielleicht möchte einer mehr geben als der andere. Vielleicht kann man das eine Geben mit dem anderen Geben auch gar nicht vergleichen. Vielleicht möchte der eine sowieso nicht so viel gesehen werden wie der andere. Vielleicht ist es auch einfach völlig utopisch zu vergleichen, zu bewerten und in Relation zu setzen. Vielleicht funktioniert das einfach nicht. Und wir tun es trotzdem. Wir sind darauf getrimmt. Von Anfang an. Und wir gehen total darauf ab. Wir lieben es, geilen uns daran auf.

Ich würde mir wünschen, dass diese Idee für so viele endet. Denn angefangen in der Paarbeziehung schwappt es über auf die Beziehung zu unseren Kindern. Spült sich automatisch in deren Bewusstsein. Es färbt ab auf die Beziehung zu unseren Pferden, Hunden, etc. Lediglich die Katzen sind ausgenommen. Hihi. Die haben ihre ganz eigenen Regeln und wir würden niemals auf die Idee kommen ihnen etwas abzuverlangen. Wir sind lediglich ihre Diener. Sonst nichts.

So. Was wäre, wenn wir darüber reden würden? Uns austauschen? Neue Gedanken denken? Andere Perspektiven sehen? Neue Blickwinkel einnehmen würden, was das Thema anbelangt? Einfach nur deshalb um an dieser Stelle flexibler zu werden. Gedankengymnastik. Hirnyoga quasi. Um vielleicht eine ganz neue, eine uns ureigene Art der Idee von Beziehung zu formen. Eine, die nichts mit dem Deal von Geben und Nehmen zu tun hat? Wie wäre das?

Alles Liebe * Verena

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