Was uns geschenkt wird

Frekja hat etwas verloren. Den lebendigen Körper ihres Kindes. Ihre Tochter in Gestalt eines Fohlens. Die Nähe zu einem Lebewesen. Es gibt vielleicht nichts Innigeres auf der körperlichen Ebene als eine Schwangerschaft. Auch ich habe etwas verloren …

Es ist eine Zeit der Verletzlichkeit. Und des verletzt seins. Unsere Herzen liegen weit eröffnet vor der Rauheit der Welt. Vor der Rauheit des Lebens. Die Grausamkeit des Lebens hat uns für einen Moment unsere Hoffnung genommen. Der Verlust unsere Seele zerrissen.

Doch das ist alles nur eine einzelne Sekunde der Wahrheit.

Hoffnung braucht es nicht. Hoffnung ist für mich etwas, das Gutes erwartet. Es gibt nichts zu erwarten. Alles ist gut. Alles ist richtig, so wie es ist. Alles ist bereits so, wie es sein soll.

Was uns geschenkt wird, Frekja und mir – und vielleicht auch euch ein bisschen durch unsere Geschichte – jetzt, in dieser Verletzlichkeit, in diesem Zustand völliger seelischer Nacktheit, ist wiederum eine Erfahrung der Innigkeit. Nicht nur körperlich, eine Art ganzheitliche Innigkeit. Ich genieße diese Innigkeit voller Freude.

Frekja war bis hierher ein sehr zurückhaltendes Pferd, mir gegenüber, den meisten Menschen gegenüber. In seltenen Momenten erbot sie mir ihre Zuneigung, ihr Vertrauen, ihre Hingabe. Nun zwingt sie mich regelrecht bei ihr zu sein, sie zu streicheln, zu putzen, zu kraulen. Sie läuft mir hinterher. Sie begegnet mir mit einer Selbstverständlichkeit von der ich in ihrer Nähe nicht zu träumen gewagt hatte. Und ich empfinde Freude!

Wir begegnen uns in Offenheit. Wir finden Vertrauen zueinander und wir finden uns selbst und gegenseitig in dieser Offenheit und Verletzlichkeit. Und Frekja ist wieder oder immer noch oder etwa mehr denn je voller Neugier auf das Leben und jeden Moment.

Ihre Augen sind wieder klar und sie ist sehr präsent. Ihr ganzes Feld strahlt. Sie scheint sich geschmeidiger als je zuvor zu bewegen und ihre Sanftheit – ich hatte es bereits erwähnt – zeigt sich noch klarer und trifft mich so tief, dass ich schreien könnte vor Glückseligkeit!

Die Freude, die ich empfinde durchdringt jede einzelne Zelle.

Ich lerne ein weiteres Mal von dieser sanften Stute, die Dinge aus verschiedenen Ebenen zu betrachten. Mich nicht in der Trauer zu verlieren. Mich nicht in selbst erschaffenem Leid zu winden. Es auch nicht zu bekämpfen.

Das Leben schlicht und ergreifend ganz zu fühlen. Und mich aus tiefstem Herzen zu freuen.

Wenn ich mich nicht wehre erscheint das Leben mühelos. Es ist einfach, es geht wirklich leicht von der Hand. Ein Selbstläufer. Auch wenn es sich uns manchmal tragisch und höchstdramatisch, voller Leid präsentiert.

Die Dinge passieren. Mehr ist es nicht. Auch nicht weniger.

Was habe ich verloren? Meine Mauern, meine Zäune, meine Angst, die Angst vor dem Leben, die Angst vor dem Schmerz, vor der Verletzung. Den Zweifel. Die Verwirrung. In diesem Moment des Lebens erscheint mir alles so klar und rein und völlig durchsichtig.

Und ich empfinde Freude. Unendliche Freude über das was uns geschenkt wird – auch angesichts des und vielleicht gerade durch das Drama und die Tragödie der letzten Woche – aber eben auch in jedem Moment des Lebens.

Es ist da. Ich werde mein Herz offen tragen …

 

Diesen Text findest du analog und auf echtem Papier in meinem Buch „Jeder Tag Gedankentanz“